Sopron

An keinem anderen Ort im burgenländisch – westungarischen Raum kann man derartig viele und höchst bemerkenswerte Relikte aus der Römerzeit bewundern wie in Scarbantia, dem römischen Sopron/Ödenburg (Reste der gepflasterten Bernsteinstraße, Forum, Amphietheater, neu gestaltete archäologische Ausstellung im Stadtmuseum).

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Die keltische und die römische Stadt

Auf dem Gebiet der Stadt Ödenburg und der Stadtdörfer gab es schon in der Jungsteinzeit zahlreiche bäuerliche Siedlungen, etwa am Spittelbach (nach dem Johanniterspital in der Stadt benannt; ungarisch heute Ikva).  So konnte der ehemalige Archäologe des Burgenländischen Landesmuseums, Dr. Karl Kaus, durch Oberflächenfunde ein jungsteinzeitliches Dorf, das etwa in der Zeit um 5500 v. Chr. bestand, lokalisieren. Es lag in der Nähe des Bahnhofes Loipersbach-Schattendorf. Gefunden wurden für die Linearbandkeramik typische Gefäßscherben und auch Steinwerkzeuge. In unmittelbarer Nähe wurden auch für die Kupferzeit (Badener Kultur) typische Gefäßteile gefunden. Im Jahr 2004 wurden bei Bauarbeiten in Großzinkendorf (Nagycenk) an der Bahnstrecke Ödenburg – Steinamanger Siedlungsreste aus der Kupferzeit, aber auch ein bronzezeitlicher Friedhof aus der Zeit 1900 bis 1600 v. Chr. entdeckt. Die bis Ende 2004 freigelegten 16 Gräbern enthielten hervorragenden Bronzeschmuck, Dolche und Beile.

Die Vorgängersiedlung des späteren Ödenburg, eine hallstattzeitliche, später keltische Stadt, lag am Westrand der heutigen Innenstadt, auf dem Krautacker (heute Stadtteil Erewan). Am Rande der Pforte, in Schutzlage auf den Ausläufern des Ödenburger Berglandes, entstanden in der Hallstattzeit große Anlagen: die Siedlung bzw. Befestigungsanlage auf dem Burgstall (Várhely), die auf der etwa 100 m höher gelegenen Karlshöhe (Károlymagaslat) und eine dritte, etwas kleinere hallstattzeitliche Siedlung auf dem Himmelsthron bei Harkau. Es liegt hier also eine überaus interessante Ansammlung von Höhenburgen auf engstem Raum vor – für die Hallstattzeit eine in Ungarn einzigartige Konzentration. Man kann vermuten, dass hier ein bedeutendes Herrschaftszentrum am östlichen Rand der Hallstattkultur bestand. Die größte Grabungskampagne fand bereits 1890 bis 1892 statt. Auch danach fanden weitere Grabungen statt und es wurden weitere Grabhügel bis in die Zwischenkriegszeit untersucht. Die Siedlungsanlagen wurden systematisch erst in den 1970er-Jahren untersucht. Auf dem Burgstall wurde eine hallstattzeitliche Befestigung in der Größe von 1250 x 500 m festgestellt. In der Anlage wurden die Fundamente von zwei Wohnhäusern gefunden, ebenso Urnen, „Mondidole“, und Bernsteinperlen. Die Urnen vom Burgstall (im Naturhistorischen Museum) mit Tanz- und Jagdszenen sind weltberühmt. Aber auch vorhallstattzeitliche Funde, Krüge aus der Urnenfelderkultur tauchten auf. Alle diese Grabungen und Funde unterstreichen die große Bedeutung des Burgstalles als wichtiger hallstattzeitlicher Fürstensitz. Er lag unmittelbar an der Bernsteinstraße, die vom Burgstall aus kontrolliert werden konnte.

Interessant ist, dass die Kelten dann ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. diese Höhenburg zunächst nicht benutzten. Erst ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. tauchen wieder Siedlungsspuren auf dem Burgstall auf. Die Vermutung liegt nahe, dass es erst wieder unter dem Druck der römischen Eroberer notwendig wurde, Befestigungen zu erneuern. Die zu diesen keltischen Höhenbefestigungen gehörenden Siedlungen lagen in der Ebene (Krautacker) und auf den Hügeln rund um die Stadt. Besonders groß dürften die Siedlungen auf dem Wiener Berg und bei Kroisbach gewesen sein. Diese Siedlungen entstanden wahrscheinlich schon im 4. vorchristlichen Jahrhundert, sind aber erst für das 3. Jahrhundert sicher nachgewiesen. Auch auf burgenländischer Seite der Grenze finden sich zahlreiche hallstattzeitliche Anlagen (Grabhügelfeld im Schattendorfer Hadspitzwald, Grabhügel zwischen Rohrbach und Marz, die hallstattzeitlichen Anlagen von Eisenstadt, Donnerskirchen und Purbach).

Keltischen Ursprung ist wahrscheinlich auch der Name der späteren Römerstadt Scarabantia. Scarb oder Scara könnte die Bezeichnung für eine keltische Gruppe gewesen sein (in der Bedeutung von „abgesondert“ oder „zerstreut“). Banta könnte im „illyrischen“ Wort für Siedlung wurzeln. Selbst wenn man eine „illyrische“ Vorbevölkerung annimmt, werden die Kelten, die aller Wahrscheinlichkeit nach dem Volk der Boier angehörten, die dominiere Bevölkerungsgruppe gewesen sein. Sie stellten auch die herrschende Schicht.

Nach der römischen Eroberung und der Anlage der Stadt Scarabantia verloren die Höhensiedlungen an Bedeutung und wurden aufgegeben. Wie nicht anders zu erwarten war Scarabantia in der Römerzeit in wichtiger Verkehrsmittelpunkt. Die Bernsteinstraße führte mitten durch die Stadt. In Scarabantia zweigten mehrere wichtige Straßen zum Donaulimes ab.

Wie die Bezeichnung Scarabantia lulia beweist, durften die ansässig gewordenen Römer noch in der Zeit des Kaisers Tiberius (14 – 37 n. Chr.) das Bürgerrecht in Anspruch nehmen. Plinius bezeichnet die Stadt als Oppidum Scarabantia lulia. In Scarabantia kann man anhand der Grabdenkmäler sehr schön beobachten, wer die neuen Bewohner der Stadt waren. Neben den ausgedienten Soldaten waren es vor allem Vertreter italienischer Handelshäuser, die sich hier niederließen. Die neuen Provinzen waren offenbar ein Eldorado für Freigelassene, die hier im Auftrag ihrer italienischen Stammhäuser Geschäfte aufbauen und Karriere machen konnten. Viele scheinen zu Reichtum und Ansehen gekommen zu sein. Beispiele wären etwa Hilarus, ein Freigelassener der Familie Sempronius, der aus Dalmatien stammte und 90 Jahre alt wurde, und seine Frau Sassa, die aus Dakien kam und 70 Jahre alt wurde. Das Grabmal wurde von ihrem Sohn Flaccus errichtet. Die Sempronier waren eine in Norditalien reich begüterte und sehr angesehene Familie. Sie schickten Hilarus offenbar nach Scarabantia, um hier Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Viele Grabsteine aus Scarabantia und Umgebung tragen die Berufsbezeichnung „negotiator“. Ein solcher war nicht bloß Händler, sondern Unternehmer im umfassenden Sinn, der auch Bankgeschäfte tätigte. Eine Inschrift berichtet über das Schicksal eines solchen Unternehmers aus Scarabantia: Lucius Atilius Saturninus, ein reich gewordener Freigelassener, von dem man außerdem weiß, dass er südlich der Stadt über ein Landgut verfügte, wurde während einer Geschäftsreise von Räubern ermordet und in Aquilea beigesetzt.

Nicht nur die Stadt selbst, auch ihr Territorium wird schon in den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung von Römern besiedelt. Es waren zumeist altgediente Soldaten der in Carnuntum stationierten 15. Legion, die um die Stadt angesiedelt wurden. Sie bekamen den Grundbesitz wohl vom Staat als Teil ihrer Entlohnung zugeteilt. Leider weiß man nicht, ob dieser Grundbesitz aus enteigneten keltischen Gütern stammte oder ob er gekauft wurde. Jedenfalls liegen die Veteranenkolonien zumeist auf hervorragenden Böden entlang der Römerstraßen und kaum in abgelegenen Landesteilen. Eine gut bekannte Kolonie von Veteranen einer Auxiliartruppe befand sich in Walbersdorf an der Wulka (heute zu Mattersburg gehörend). Die Grabinschriften erwähnen mehrere, miteinander verwandte Familien.

Über das Aussehen der noch jungen Römerstadt Scarabantia ist wenig bekannt. Eines haben die Ausgrabungen aber doch gezeigt: Um die Mitte des 1. Jahrhunderts waren die Gebäude noch recht bescheiden, zum Großteil wohl in einheimischer Bauweise, also als Fachwerkbauten errichtet. Es gibt aber auch schon in dieser Zeit Hinweise darauf, dass der Wohlstand zunahm. So wurde etwa schon Geschirr aus Terra Sigilata verwendet. Vor allem aber die Gräber beweisen das Vordringen römischer Lebensweise: Die Urnen sind zum Teil höchst kostbare Glasurnen, beigegeben wurden Geschirr, Lampen, Parfümfläschchen, aber auch kostbarer, in Aquilea angefertigter Gold- und Bernsteinschmuck.

Gegen Ende des 1. Jahrhunderts nahm die Stadt eine andere Gestalt an. Wahrscheinlich unter Kaiser Vespasian (69 – 79 n. Chr.) erhielt Scarabantia den Rang eines Municipiums. Dies beweist eine in Savaria (Steinamanger) auf einem Altar gefundene Inschrift, die das „Municipium Flavium Augustum Scarabantia“ erwähnt. Diese Rangerhöhung brachte der Siedlung erhebliche Vorteile. Die freien Einwohner hatten das Bürgerrecht, wurden – wenn sie Militärdienst leisten mussten – in die Legionen und nicht in die Auxiliartruppen einberufen und hatten außerdem Steuer- und Zollvorteile bei ihren Handelsgeschäften. Die Stadt nahm damit einen erheblichen Aufschwung, ihre Bürger wurden reicher. Immer häufiger stifteten sie im Verlauf des 2. Jahrhunderts öffentliche Gebäude und Altäre, wovon die gefundenen Inschriften künden. Auf dem Forum der Stadt wurden fünf dem Silvanus Augustus geweihte Altäre gefunden. Einen davon stiftete etwa der Decurio und Quaestor Tiverius Iulius Quintilianus anlässlich seiner Wahl zum Augur, einer hohen priesterlichen Funktion. Die Gebäude der Stadt wurden nun in Stein errichtet.

Das Stadtzentrum bildete das rechteckige Forum, das im Bereich des heutigen Hauptplatzes lag. An der Nordseite lag das große Staatsheiligtum, den Göttern Jupiter, Juno und Minerva gewidmet. Dieser Tempel der „kapitolinischen Trias“ hatte eine Länge von 35 m und eine Breite von 10 m. Vor dem Eingang am Forum standen vier riesige Säulen. Die archäologischen Ausgrabungen fanden die Säulenbasen noch an ihrem ursprünglichen Ort. Die zerbrochenen Säulen lagen, ebenso wie die korinthischen Kapitelle, davor. Die drei riesigen Götterstatuen, deren Überreste ebenfalls gefunden wurden und die man wieder so weit wie möglich zusammengefügt hat (zu besichtigen im Museumskeller des Fabricius-Hauses), sind aus Marmor, den man aus Griechenland nach Italien importierte. Dort wurden die Statuen Anfang des 2. Jahrhunderts gefertigt und schließlich nach Scarabantia transportiert. Die Kaufsumme und die Transportkosten müssen enorm gewesen sein. Das Heiligtum wurde in späterer Zeit mehrmals umgebaut. Es erhielt zwei Seitenflügel, die einen heiligen Bezirk umschlossen. Im Ostflügel wurde ein 9 x 12 m großer, sorgfältig ausgestatteter Saal, der offenbar ebenfalls kultischen Zwecken diente, freigelegt. In den Trümmern des Gebäudes wurden Teile einer Minerva-Statue gefunden.

Auch die anderen Seiten des Forums und deren Bebauung sind größtenteils bekannt. Am Beginn der St. Georgstraße (Szent György utca), in der südöstlichen Ecke des Forums befand sich ein großer Saalbau. An der Südseite standen ebenfalls Heiligtümer. Zwei Altäre, dem Gott Merkur und dem Liber Pater (Bacchus) gewidmet, wurden hier gefunden. Sie wurden später in die Schwelle eines anderen Gebäudes eingemauert. Daneben stand wahrscheinlich das Heiligtum des Silvanus Augustus. Den offiziellen, staatlichen Göttern und ihrem Heiligtum lagen also die Tempel jener Gottheiten gegenüber, die die Kaufleute der Stadt anscheinend besonders verehrten. An der Westseite des Forums befand sich die Basilica, der Gerichtssaal, in dem aber nicht nur Recht gesprochen wurde. Hier wurden auch Geschäfte getätigt und Verträge abgeschlossen. Am Forum könnte auch – wie Überreste im Fabricius-Haus (Museum) zeigen – ein öffentliches Bad gelegen haben. Ein weiteres, sehr ausgedehntes Bad lag am anderen, südlichen Ende der Stadt im Bereich des Ursulinen-Platzes. Im Keller der dortigen Schule der Ursulinerinnen können Überreste (Becken, Heizung, Heizkanal) besichtigt werden.

An vielen Stellen der Stadt wurden auch sorgfältig gepflasterte Überreste der Bernsteinstraße gefunden. Um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert, als die Romanisierung schon beträchtliche Fortschritte gemacht hatte, dürften nach den archäologischen Befunden anlässlich des Besuches des Kaisers Domitian (92 n. Chr.) die Straßen erweitert und erneuert worden sein. Offenbar wurde das ganze Land – von der Straße als zentraler Achse ausgehend – neu vermessen und aufgeteilt. Bis heute kann man auf Luftaufnahmen die Nachwirkungen dieses Vermessungs- und Katastersystems erkennen.

Während des Markomannen- und Quadenkrieges wurde auch Scarabantia schwer mitgenommen. Eine starke Brandschicht bezeugt dies. Anscheinend wurde die Stadt in Brand gesteckt und vermutlich ein Teil der Bevölkerung verschleppt, wie es damals in vielen pannonischen Städten der Fall war. Während des Krieges gegen diese Germanenvölker hielt sich Kaiser Marc Aurel wiederholt auch in Scarabantia auf. Der Wiederaufbau dürfte relativ rasch erfolgt sein. Im Jahre 202, als Kaiser Septimius Severus den 10. Jahrestag seiner Kaiserkrönung in Carnuntum feierte, besuchte auch er auf dem Rückweg  Scarabantia.

Im 3. Jahrhundert wuchs die Stadt jedenfalls weit über die ursprünglichen Grenzen nach Osten und Norden. Zahlreiche neue Wohnhäuser und neue Tempel und Altäre wurden errichtet, etwa das Heiligtum der Nemesis auf dem Wienerberg und ein Heiligtum des Silvanus am Fuß des Kuruzenberges. Besonders interessant ist ein Gebäude am Südrand der Stadt, im Bereich des heutigen Széchenyi-Platzes. Dort lag – direkt an der gut gepflasterten Bernsteinstraße – ein Altar für Jupiter neben den Amtsräumen der Beneficiarii, der „Gendarmerie“ oder „Straßenpolizei“ der Römer – Soldaten, die für die Überwachung der Straße zuständig waren.

In eine neue und sehr interessante Phase trat Scarabantia zu Beginn des 4. Jahrhunderts ein, zu einer Zeit, als die Städte an der Grenze bereits im Niedergang begriffen waren. Offenbar spielte die Stadt als militärischer Etappenort und als Handelsort eine wichtige Rolle. Sie lag an der damals immer wichtiger werdenden Nordwest–Südost-Querverbindung, die von Vindobona (Wien) über Savaria (Steinamanger/Szombathely) und von dort weiter nach Sopianae (Fünfkirchen/Pecs) und nach Sirmium führte. Die Stadt blühte in dieser Zeit erneut auf. Die Stadtmauer wurde erneuert, alte Gebäude erweitert und zahlreiche neue Gebäude errichtet. Einzelfunde weisen auf einen beträchtlichen Wohlstand in der Stadt hin. Aus dieser Zeit stammt auch ein neues großes Gräberfeld an der Bernsteinstraße. Die Grabbeigaben lassen vereinzelt auf eine christliche Gemeinde schließen.

Die Notitia Dignitarum, eine Art römischer Amtskalender, erwähnt um 380 n. Chr. einen Tribunus Cohortis Caratensis. Es wird angenommen, dass hier ein Schreibfehler vorliegt und eigentlich Scarabantia gemeint ist. Das bedeutet, dass um diese Zeit eine kleine Militäreinheit in Scarabantia stationiert war. Dies war auch ratsam, denn vor allem nach der Schlacht von Adrianopel im Jahre 378 begannen für Pannonien wieder sehr unruhige Zeiten. Es gibt Hinweise, dass auch Scarabantia von der gotisch-hunnisch-alanischen Völkerkonföderation, deren Reitertrupps damals weit nach Westen vordrangen, angegriffen wurde. Nahezu alle Basteien wurden in dieser Zeit beschädigt und das nördliche Stadttor wurde zerstört. Eine Schicht aus Schlamm und Erde breitete sich etwa über das Pflaster des Forums. Die Stadt scheint also einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in einem eher schlechten Zustand gewesen zu sein. Die Lebensbeschreibung des Heiligen Quirinus berichtet, dass im Jahr 405 ein Teil der römischen Bevölkerung von Savaria nach Italien abzog und sich ihnen auch Bewohner Scarabantias angeschlossen hätten. Man kann vermuten, dass vor allem die reicheren Familien, denen es in Pannonien zu gefährlich wurde und die sich mit der Primitivisierung des Lebensstils nicht abfinden konnten, die desolate Stadt verließen. In dieser Zeit kommt es erneut zur Ansiedlung von Germanen. Im Jahr 396 n. Chr. erhalten die Markomannen der Königin Fritigil, eine bereits christianisierte Gruppe dieses Volkes, Wohnsitze am Leithagebirge und Neusiedler See und wahrscheinlich auch in Scarabantia. Jedenfalls tauchen in den Fundschichten dieser Zeit verstärkt Keramiken auf, die für die Germanen charakteristisch sind.

Die Stadt Scarabantia war also in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts nicht im besten Zustand. Viele Gebäude wurden wieder aufgebaut. Das große Jupiter-Heiligtum am Forum wurde zugemauert. Die neu errichteten Gebäude waren keine römischen Steinbauten, sondern Blockhäuser und Fachwerkbauten nach germanischer Sitte, auch innerhalb der Stadtmauern. Der Verfall wurde durch das große Erdbeben von 456 wahrscheinlich noch beschleunigt. Die Archäologen fanden mehrere Hinweise darauf. Der schlechte Zustand der Stadt überrascht wenig, man findet zahlreiche Parallelen in anderen Städten Pannoniens in dieser Zeit.

Dann aber, gegen Ende des 5. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts, kommt es zu einer Entwicklung, die auch die Archäologen sehr erstaunt hat. Das Festungssystem wurde erneut ausgebessert, die Mauern verstärkt, die Toranlagen wurden umgebaut. Auf den Umgängen an der Innenseite der Mauer wurden zahlreiche Hütten und Werkstätten errichtet. Die Wirtschaft der dicht besiedelten Stadt scheint erneut geblüht zu haben. Besonders überraschend ist, dass nun auch wieder Steinbauten errichtet wurden, mit Ziegeldächern und Heizanlagen. Das ist für Pannonien, mitten in der „Völkerwanderungszeit“ überaus erstaunlich. Viele ältere Gebäude wurden nun als Vorratsspeicher genutzt. Der Handel mit Italien scheint noch immer funktioniert zu haben, zahlreiche Importgüter, vor allem Metall- und Glaswaren, sind nachgewiesen. Die Bevölkerung war anscheinend wohlhabend genug, um sich diese Güter noch leisten zu können.

Ein beträchtlicher Teil der Stadtbewohner und des Umlandes waren in dieser Zeit germanische Heruler (Eruler). Vermutlich war Scarabantia in dieser Zeit das Zentrum ihres Volkes. Ihre reiche Oberschicht konnte sich die Steinhäuser nach römischer Sitte und auch die Luxuswaren leisten. Das beweisen die reich ausgestatteten Fürstengräber von Heiligenstein (Hegykö). Sie waren wahrscheinlich für diese außergewöhnliche Spätblüte der städtisch-römischen Kultur in Scarabantia verantwortlich. Sie boten vermutlich auch einer größeren Zahl von romanischer Bevölkerung in der Stadt Schutz. Vielleicht kam es sogar zur Umsiedlung romanischer Gruppen aus anderen Städten Pannoniens.

In diese Zeit fallen auch deutliche Hinweise auf christliche Gemeinden in Scarabantia. Östlich an die Stadtmauer anschließend wurde eine dreischiffige, 12 m lange Kirche gebaut. Es war dies ein Fachwerkbau auf Steinfundamenten. Scarabantia hatte in dieser Zeit auch einen Bischlof. 572 und nochmals zwischen 577 und 579 n. Chr. unterschrieb ein Vigilius Scaravaciensis die Abschlussdokumente der Synode von Grado. Beide Synoden waren einberufen worden, um das Problem der Dreifaltigkeit zu diskutieren. In der Forschung ist freilich umstritten, ob Vigilius zu dieser Zeit wirklich noch in Scarabantia wirkte oder ob er mit den Langobarden und Herulern nach Italien abgezogen war.

Alle diese Fakten, die archäologischen Befunde, die ein noch immer funktionierendes städtisches Leben, eine dichte Bevölkerung, die Fortsetzung der Handelsbeziehungen und die Existenz einer christlichen Gemeinde unter einem eigenen Bischof mitten in den „Wirren“ der Völkerwanderungszeit ergeben jedenfalls ein Bild, das mit den früheren Vorstellungen von einer weitgehend verwüsteten, verödeten, menschenleeren Provinz Pannonien nichts gemein hat. Natürlich hat das Ende der römischen Verwaltung und Staatlichkeit ihre Spuren hinterlassen, das Leben ging aber weiter. Bevorzugte Plätze wie Scarabantia – Ödenburg – Sopron bleiben eben nicht unbesiedelt…

 

Literatur:

Floiger, Michael: Das alte Ödenburg. In: Geographisches Jahrbuch 2009, Band 33. Hrsg.: Vereinigung Burgenländischer Geogrphen in Kooperation mit der Universität Westungarn (Sopron), Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, S. 292 -302. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.